Vor 20 Jahren gab es die ersten Veröffentlichungen zum Thema 360-Grad-Feedback. Doch Erfahrungsberichte zu 360-Grad-Feedback sind 2018 leider immer noch Mangelware. Sollte man doch eigentlich meinen, dass es inzwischen viel zu berichten gäbe. Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Dabei wäre es längst an der Zeit, mehr über konkrete Erfahrungen zu lesen und beispielsweise darüber, wie sich das Feedback-Verfahren über die Jahre hinweg entwickeln hat oder, ob es sich überhaupt weiterentwickelt hat. Dabei stellt sich einem die Frage, warum diese Art von Feedback eine Daseinsberechtigung hat und ob es nicht viel zu viele Argumente gibt, die gegen den Einsatz dieses Verfahrens sprechen.
360-Grad-Feedbacks sind nur dann sinnvoll, wenn Feedbacknehmer freiwillig mitmachen
Würde man die Feedbacks tatsächlich primär aus dem Grund nutzen wollen Arbeitnehmer weiterzuentwickeln, solle das Verfahren auch nur durchgeführt werden, wenn Feedbacknehmer freiwillig teilnehmen.
Die Ergebnisse sollten zudem immer mit neutralen Coaches besprochen werden mit der Möglichkeit im Anschluss mit den Feedbackgebern sprechen können. Hierzu müsste die viel gelobte Anonymität jedoch aufgehoben oder die Ergebnisse beispielsweise nach Feedbackgeber-Gruppen geclustert werden.
Freiwillige Feedbacknehmer sind an den Ergebnissen tatsächlich interessiert und setzen sich anschließend intensiv mit ihnen auseinander.
Sind 360-Grad-Feedbacks naiv?
Verwunderlich ist die Naivität der 360-Grad-Feedback-Verfahren, gerade, weil so häufig betont wird, dass man den Fach- und Führungskräften mit Hilfe eines Fremdbildes aus vielen Perspektiven das eigene Verhalten und damit mögliche Entwicklungswege zu reflektieren.
Bieten 360-Grad-Feedbacks Nährboden für Racheakte & Intrigen?
Das 360-Grad-Feedback öffnen zweifelsfrei Tür und Tor für Rache und intrigantes Verhalten. Es bietet ein Instrument den Vorgesetzten oder den unbeliebten Kollegen in die Pfanne zu hauen. Dazu sei gesagt: Wenn Mitarbeiter ein Bedürfnis nach Rache und Vergeltung verspüren, hat das einen Grund. Doch ist nicht annähernd gesagt, dass dies aus dem Fehlverhalten der Führungskraft resultiert, denn sie können auch aus notwendigem Führungshandeln ergeben. Anonymes Feedback eröffnet Spielraum für versteckte Fouls und gibt Mitarbeitern Erpressungspotenzial in die Hand. Dieses wird noch größer, wenn das Führungsfeedback von Personal „intensiv nachgehalten“ und zum Gegenstand kritischer Gespräche gemacht wird. In 360-Grad-Feedbacks wird also gerne mal kollektiv Dampf abgelassen, was zu einer ungewollten Dramatisierung von Problemen führen kann. Ein Überdruckventil für Frustration, was ein völliges Zerrbild der Realität zeichnen kann.
360-Grad-Feedback mit massiven Widersprüchen?
Auf Unternehmensseite wird das Feedbackinstrument im gänzlichen Widerspruch eingesetzt. Mit Sicherheit werden viele Feedbacknehmer nichts dagegen einzuwenden haben, dass ihr Chef und die Personalabteilung Einblick in die Feedbacks haben. Allerdings sollte dieses Instrument dann nicht mehr „Feedback“, sondern „Beurteilung“ genannt werden.
Offiziell betont man nämlich noch immer gerne, dass es sich um keine Beurteilung handelt, daher setzt man dann im gleichen Atemzug „Entwicklungsgespräche“ mit Vorgesetzten und Personalleitern an, um „Ziele“ festzulegen, entsprechende Maßnahmen zu planen und Ergebnisse zu kontrollieren.
Wem genau will man dann verkaufen, dass Feedbackgespräche keinen Einfluss auf die eigene Karriere im Unternehmen haben? Widersprüchlich oder? Aus diesem Grund sollt man allen Beteiligten vor Augen führen, dass Feedbacks natürlich Personalentscheidungen und Karriereentwicklung beeinflussen – und zwar direkt. Alles andere ist scheinheilig und bestenfalls naiv.
Bild: Štefan Štefančík/Unsplash