Mit über 175 .000 ansässigen Unternehmen, ist es ist ein kunterbuntes Treiben auf dem Berliner Arbeitsmarkt. Etablierte Firmen und Start-ups kämpfen um die Gunst der besten Bewerber. Und selbstredend kämpfen die besten Bewerber um die bestbezahltesten Stellen, mit den nettesten Arbeitskollegen, dem harmonischsten Betriebsklima und regelmäßigen Teamevents, Firmenfeiern und Weiterbildungen. Unsere Autorin beschreibt, wie sie diesen Kampf erlebt hat und warum sie letztendlich den Entschluss fasste, sich selbstständig zu machen.
Nachdem ich mit meinem letzten Job eine Niete gezogen hatte, wollte ich nun endlich meinen Traumjob zu ergattern.
Ein bisschen Feenstaub für meine Unterlagen
In Schritt 1 brachte ich daher zunächst meine Bewerbungsunterlagen auf Vordermann. Ein schickes und auffälliges Design musste her. Schließlich galt es, Personaler zu überzeugen und aus der Menge potenzieller Kandidaten herauszustechen.
Dann konnte die Reise für meine Bewerbungsunterlagen auch schon losgehen – Und meine Bewerbungen sind viel und oft gereist.
LinkedIn: Hallo Homepage!
Die Menge der Jobangebote ist schlicht überfordernd und schnell entwickelte sich die Jobbörse auf LinkedIn zu meiner persönlichen Startseite.
Täglich prasselten hunderte neuer Stellen auf mich ein, auf die ich mich auch, zum Teil mit nur drei Klicks, in drei Klicks und wenigen Sekunden bewarb.
Aber nicht nur auf LinkedIn: Auch auf anderen Jobbörsen wie Indeed, Xing, Stepstone & Co. herrscht ein derart überwältigendes Angebot vor.
More, more, mooooore uh yeah
Wenn man einen guten Job finden will, sollte man viele Bewerbungen schreiben. Bitte nicht!
An einem produktiven Tag ist es zwar durchaus möglich, 50 Bewerbungen oder mehr an den Personaler zu bringen. Problematisch ist daran aber, dass man sich schnell nebenbei auf Positionen bewirbt, für die man sich im Grunde nicht 100% interessiert.
Jobbeschreibungen? Ja, die überfliege ich
Und weil es den „Direkt bewerben“ Button bei LinkedIn oder die Tinder-Job-App von Moberries gibt (mehr dazu an späterer Stelle), bewirbt man sich auch mal nach einem kurzen Überfliegen der Jobbeschreibung.
Wenn man ehrlich ist, wäre einem oft bereits aus der Stellenbeschreibung ersichtlich geworden, dass man nicht die Starbesetzung für das Unternehmen und den Job ist.
Das frisst bei dir und dem Unternehmen Zeit. Ich habe die Erfahrung selbst gemacht, mich zum Teil in Bewerbungsschleifen mit B-Optionen wiederzufinden.
10 Interviews an einem Tag – All in
Wie sich eigentlich jeder denken kann, ist es alles andere als ratsam, eine so hohe Anzahl an Bewerbungen zu versenden. Vorsicht: An einem Tag können sich auch gut mal 10-20 Unternehmen bei einem melden. Das ist mir alles passiert. 10 Jobinterviews pro Woche wurden so schnell zur Gewohnheit.
Videointerviews: Der Schrecken aller Erstgespräche
Wenn du wie ich Telefoninterviews zu allem Überfluss nicht ausstehen kannst, wirst du dem Trend hin zu Videointerviews kritisch gegenüberstehen.
Ich bevorzuge es, potenzielle Vorgesetzte und Kollegen persönlich kennen zu lernen und nicht von Laptop-Kamera zu Laptop-Kamera. Interessant fand ich auch, dass ich nach keinem Videointerview zu einer zweiten Runde eingeladen wurde. Lag das jetzt an meinem Aussehen, meiner schlechten Kamera, dem Rauschen im Sound?
Moberries: Ist das jetzt die Spitze des Eisbergs?
Die neueste Job-App, die mir sogar von einer Recruiterin empfohlen wurde, heißt „Moberries“. Moberries ist das Tinder für den Arbeitsmarkt, bei der dir Stellen, die deinem Profil entsprechen, präsentiert werden.
Wenn du und der Arbeitgeber ein Match auslösen, erhält der Arbeitgeber deine Kontaktdaten. Manchmal schreibt dir dann jemand aus der HR-Abteilung des Unternehmens eine Email oder ruft direkt an. Schön unkompliziert.
In meiner Phase – ich will sie nennen des „App-Testings“ – habe ich mit Moberries 10 Telefoninterviews an einem Tag geführt.
Die Moral von der Geschichte: Ich mach mich jetzt selbstständig
Es ist möglich mit Speed Jobbing zahlreiche Unternehmen kennenzulernen, neue Kontakte zu knüpfen und viele Jobangebote zu erhalten. Man steigert in jedem Fall die Reichweite seiner Bewerbungen und das auf lurzem Weg und ziemlich schnell.
Warum ich mich letztendlich für keinen dieser Jobs entschieden habe, liegt in meinen eigenen Ansprüchen an meine Suche begründet.
Ehrlicher Weise wollte ich nach meinen letzten Jobs nochmal herausfinden, ob es „da draußen“ nicht doch eine Position in einer Festanstellung gibt, die zum einen zu mir passt und die mich zum anderen auch ausfüllen würde.
Es gab hier und da Kennenlernen, bei denen Jobs und Unternehmen mein Interesse geweckt hatten, aber für mehr als 2-3 Dates hat es dann nicht gereicht.
Allein aus Selbstschutz, habe ich meine Ansprüche nach meinen letzten Fehlentscheidungen so weit nach oben geschraubt, dass es zugegebener Weise, auch alles andere als einfach ist, mich zu begeistern und zu binden. Immer dann wenn ich Begriffe wie 360-Grad-Feedback gehört habe, war ein Arbeitgeber für mich schon aus dem Spiel. Was ich gegen diese Art von Feedback habe, darüber werde ich zu einem späteren Zeitpunkt noch einen Beitrag verfassen.
Lernen muss ich viel, Weiterbildungen brauche ich, ein kollegiales Umfeld und Vorgesetzte mit Herz, die Mitarbeitern mit Einfühlungsvermögen begegnen und diese eben nicht nur als Mitarbeiter auswringen wie nasse Handtücher und wegwerfen, sollten sie mal ausgewaschen sein.
Was es nicht braucht sind „360-Grad-Feedbacks“, eine Unternehmensvision mit der man zu einer besseren Welt beitragen will. Auch die Mate-Flatrate ist unnütz, wenn man keine vernünftige, wertschätzende Unternehmenskultur etabliert.
Ich habe beschlossen, dass ich aktuell zumindest in Unternehmen einfach nicht verloren habe, weil ich in den letzten Jahren durch meine Anstellungsverhältnisse bereits ein Stück meiner selbst verloren hatte. Ich kann nirgends mehr reingehen, emsig arbeiten und mich verstellen.
Goodbye Speed Jobbing
So kam es dann auch, dass ich nach einem Monat des Speed Jobbings und mehreren Angeboten für Jobs, schlussendlich die Entscheidung traf, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen.
Natürlich hatte ich auch schon vorher mit diesem Gedanken geliebäugelt, aber, dass trotz dutzender Bewerbungen und Interviews nichts gefunden habe, was meinen Traumjob und Umfeld entsprach, hat mich nun komplett überzeugt, dass man Traumjob ganz einfach darin liegt, mein ganz eigenes Ding zu kreieren und ich hoffe, dass ich irgendwann mal genau das Unternehmen leiten werde, dass Menschen wie mir einen Platz in einem guten, herzlichen und motivierenden Umfeld bietet.
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